ORDOS: Gegenwart in der Zukunftsstadt

China 2017

Das chinesische Ordos in der inneren Mongolei, gilt als Inbegriff einer Geisterstadt, als absurde und menschenleere Planstadt in der Wüste. In der Region entdeckte man grosse Kohle- und Gasreserven und begann diese zu erschliessen. Die Bagger rollten an und binnen weniger Jahre wurde ein weitläufiges Kultur- und Verwaltungszentrum samt Hotels, Sportanlagen und Wohngebieten aus dem Boden gestampft. Ausgelegt für insgesamt 1 Million Bewohner.

Es wäre also vordergründig leicht, Ordos, speziell Kangbashi, als Paradigma für das Scheitern einer dirigistischen Stadtplanung darzustellen. Doch der Berner Architekturfotograf Damian Poffet nähert sich der Stadt vorurteilsfrei. Er sucht mit seiner Kamera nicht die surrealen Stimmungen, welche wir mit dem Thema Geisterstadt in Verbindung bringen. Sondern er zeigt, neben der Architektur, auch immer Menschen, die in der Stadt tätig sind, die Stadt nutzen oder für die Stadt sorgen. Während Architekturfotografen oft von ihren Auftraggebern angehalten sind, Spuren menschlichen Lebens zu tilgen, um die Gebäude überzeitlich erscheinen zu lassen, ging Poffet hier den umgekehrten Weg, um Kangbashi in der Gegenwart zu verankern. «Ordos – Gegenwart in der Zukunftsstadt» heisst sein Reportagezyklus.

Es geht um das Gesamtbild des synthetischen Stadtzentrums mit seiner Mixtur aus überdimensionierten Plätzen, Wegachsen, Denkmälern, Repräsentationsbauten. Mongolische Zitate verbinden sich mit chinesischen Referenzen, postmoderne Elemente mit Ausdrucksformen einer internationalen Investorenarchitektur. Damian Poffet nimmt auf, er zeigt, er dokumentiert. Die Perspektiven, auf welche die Stadt hin konzipiert ist, finden sich in seinen Bildern. Er sucht sie nicht durch gegenläufige Kamerastandpunkte zu unterminieren, aber auch nicht durch Übersteigerung zu überhöhen und zu entlarven oder durch Abstraktion in ein Kunstprodukt zu verwandeln. Was seine Bilder zeigen, ist surreal genug, es bedarf nicht zusätzlicher Manipulation. Gerade der Verzicht auf eine zugespitzte Aussage lässt die Bilder rätselhaft erscheinen. Ist Ordos gescheitert? Ist seine Zeit nur noch nicht gekommen? Funktioniert die Stadt auf ihre Weise vielleicht doch, nur nicht so, wie wir uns das mit unserer westlichen Logik vorstellen? Architektonisch spektakuläre Planungen von Stadtzentren ohne wirkliche Funktionen, leerstehende Apartmentkomplexe als Anlageobjekte, akkurat gepflegte Parks ohne Besucher, all das findet sich auch anderenorts. Damit kann man Ordos dann doch als paradigmatisch verstehen. Nicht als Geisterstadt, sondern für Tendenzen im zeitgenössischen chinesischen Städtebau ausserhalb der ganz grossen Metropolen. Damian Poffet nimmt uns mit, er eröffnet uns Einblicke. Die Interpretation obliegt uns.

Text: Hubertus Adam

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