Tsunami Seawalls

Gottheiten des Betons

Japan 2019 – 2020

Einst, vor sehr langer Zeit, zeugten die beiden japanischen Urgottheiten Izanami und Izanagi miteinander die Inseln Japans, die Götter für das Meer, die Flüsse, Berge, die Ebenen und die Bäume. Doch die Harmonie ihrer Liebe dauerte nur, bis Izanami, die Frau und Schwester Izanagis, den Gott des Feuers gebar und an seiner Geburt starb. Weil Izanagi diesen Tod nicht ertragen konnte und noch weniger seine Hässlichkeit im Antlitz der Geliebten, kam es zwischen den beiden zu Streit und Kampf. Das männliche Prinzip obsiegte: Izanagi verwehrte der wütenden Izanami den Zugang zu den Menschen, indem er den Abhang zur Unterwelt dorthin mit einem Felsblock versperrte. Doch seither holt sich Izanami immer wieder Vergeltung.

Das letzte Mal geschah dies 2011 auf der japanischen Hauptinsel Honshū, als ein verheerender Tsunami über 20’000 Menschenleben forderte, ausgelöst durch das ungewöhnlich starke Tōhoku-Erdbeben.

In der Folge der Katastrophe liess die japanische Regierung mit Unmengen Beton die Küste befestigen. Immer mehr werden Zugang und Blick aufs Meer versperrt, wie einst dies für die Unterwelt geschah. Die Betonblöcke sollen die Kräfte der wütenden Natur bändigen; mit ihnen revanchiert sich Izanagi, gegen die Hässlichkeit des Todes.

Poffet reiste einige Jahre nach der Flut-Katastrophe nach Japan, um die Zerstörungen und die von der japanischen Regierung beschlossenen Schutzmassnahmen zu besichtigen und zu dokumentieren. Er fand auf einer Küstenlänge von über 400 Kilometern mächtige Bauwerke, einen eigentlichen «Pazifik-Wall» zur «Verteidigung» des Archipels.
 

Text: Tibor Joanelly

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